Zwölf Jahre Aitrachaue – Wie aus bewirtschafteten Feldern ein Paradies für Flora und Fauna wurde – Eine Hommage an die niederbayerische Mutter Natur
Von Torsten Widua/Straubinger Tagblatt
Die Vögel zwitschern. Ein Specht hämmert ein Tattoo in einen Baum. Zwei Hasen, die sich ein Wettrennen über die saftigen Wiesen liefern, und ein Eichhörnchen, das ein paar Knospen und Triebe stibitzt auf dem Weg durchs dichte Grün. Da drüben ein Kuckuck, der signalisiert: „Da bin i dahoam.“ Und hier vorne Dutzende Bienen, die gerade im Insektenhotel einchecken. Die Sonne blinzelt hinter den Schäfchenwolken hervor, an jenem Tag Ende Mai. Angenehme 22 Grad im Schatten. Ein zarter Wind weht sanft und leise durchs meterhohe Gras. Ein Plätschern ist aus der Ferne zu hören. Weitläufige Natur, Bäume, Sträucher, Streuobstwiesen. Wildwuchs. Es riecht nach Spätfrühling, duftet nach Frühsommer. Kies und Schotter knirschen unter den Schuhen. Was nach niederbayerischem Outback klingen mag, ist zivilisationsnahe Natur pur zwischen Geltolfing und Salching. Ein Spaziergang durch die Aitrachaue.
Ein ökologisches Kleinod im Gäuboden
„Das ist ein bayernweites Vorzeigeobjekt und ein ökologisches Kleinod im Gäuboden“, schwärmt Aiterhofens Altbürgermeister Manfred Krä und deutet auf die Auenlandschaft, die mit insgesamt 130 Hektar so groß ist wie knapp 200 Fußballfelder. „Das Ganze war eine Herzensangelegenheit“, ergänzt der 79-Jährige, der zwar – wie er sagt – nicht mehr E-Bike fährt, „aber die paar Meter bis vornehin zum Mühlgraben kann ich schon noch laufen.“ Der Mühlgraben: Lange Zeit war er immer wieder ausgetrocknet. Über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten. „Nur wenn’s Hochwasser gab“, informiert Kräs Nachfolger Adalbert Hösl, „dann stand hier das Wasser. Ist das aber zurückgegangen, war der Mühlgraben wieder steintrocken.“
Ganz zum Nachteil der Fische, Erdkröten und Grasfrösche, die hier die Gunst der feuchten Stunde genutzt hatten, um zu laichen. „Hier hat beispielsweise auch die Gelbbauchunke ihre Jungen zur Welt gebracht“, klinkt sich der ehemalige Geschäftsleiter der Gemeinde ein, Günter Stephan. „Das Reptil stand auf der Roten Liste, war stark artengefährdet.“ Und im Zuge der Renaturierung von Aitrachaue, Mühlgraben und Augraben, die geografisch zwischen Geltolfing und Kienoden (Salching) zu verorten sind, wurde der Mühlgraben mittels eines Zuflusses wieder zu einem dauerhaften Gewässer.
„Alle zwei Jahre Hochwasser“
Gut anderthalb Meter geht’s runter, vom Ufer bis zur Wasseroberfläche der Aitrach, hier, rechts unterhalb der Brücke, in der Nähe der Aumühle. „Das ist die perfekte Brutstätte für die Eisvögel“, erzählt Günter Stephan stolz. „Die nisten sich in diesem witterungsgeschützten Bereich ein. Eine Rarität, dass wir bei uns solchen Tieren ein Zuhause geben dürfen.“ Vor 15 Jahren noch eine undenkbare Situation. Damals gingen die Felder der Landwirte direkt bis ans Ufer. Zuckerrüben wurden angebaut und geerntet. Auch Kartoffeln und Weizen. Da traute sich gewiss kein Eisvogel her. „Problem war“, sagt der frühere Geschäftsleiter Dieter Pfeilschifter, „dass wir rund alle zwei Jahre Hochwasser hatten. Und dann war die Ernte hinüber.“ Das überschwemmungsgefährdete Gebiet war sicherlich ein Grund, weshalb die Gemeinde relativ leichtes Spiel hatte, den Landwirten diese am Ufer gelegenen Felder abzukaufen – mit dem Ziel, hier wieder eine Wiesen- und Auenlandschaft zu gestalten, wie es sie bis in die 1960er-Jahre gab, bevor aus grünen Wiesen braune Ackerflächen wurden. „1,5 Millionen Euro wurden durch den Freistaat Bayern und die EU damals aufgewendet, und zusätzlich noch mal 200 000 Euro durch die Gemeinden Aiterhofen und Salching“, erinnert sich Manfred Krä und streicht mit seiner rechten Hand durchs gut 1,50 Meter hohe schilfähnliche Gras. „Umso schöner, dass seit 2009 wieder Uferrandstreifen entstanden sind.
Die Flurneuordnung als Grundlage dieses grünen Bandes zwischen Aiterhofen und Salching war ein voller Erfolg und auch eine großartige Leistung aller damaligen Entscheidungsträger“, freut sich Petra Grießbaum, stellvertretende Bürgermeisterin von Salching. Auch vor zwei Jahren konnte von der Gemeinde Aiterhofen mit Unterstützung durch die Untere Naturschutzbehörde nochmals eine Teilfläche von rund einem Hektar erworben werden. „Wir sind bemüht, wo es noch möglich ist, die Geschichte der Aitrachaue weiterzuschreiben“, so Aiterhofens Bürgermeister Hösl.
„Ideengeber war der Pfeilschifter Dieter.“ Manfred Krä klopft dem einstigen Geschäftsleiter vor einer Infotafel auf die Schultern. „Er hat sich für die Renaturierung der Aitrachaue stark gemacht.“
„Das war ein echter Glücksfall“
2002 fand die Erstbegehung statt. Was folgte, war eine intensive siebenjährige Planung, in Abstimmung mit diversen Ämtern. Nur weil viele an einem Strang zogen – Kommunen, Landratsamt, Regierung von Niederbayern, Wasserwirtschaftsamt, Amt für Ländliche Entwicklung und auch die örtliche Landwirtschaft – war diese außergewöhnliche Maßnahme möglich. Alle waren von der Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens überzeugt. Am 31. Juli 2009 dann der Spatenstich, ehe rund drei Jahre später das ökologische Mammutprojekt erfolgreich seinen Abschluss fand.
Altbürgermeister Krä nimmt Platz, auf einer Bank, schaut in Richtung Espermühle und lässt sich von der Sonne kitzeln. „Wir hatten und haben ein riesen Glück“, fällt dem Aiterhofener ein, der 24 Jahre lang das politische Gemeindezepter in der Hand hielt. „Der Mühlbauer, der einzige Landwirt im ganzen Gemeindegebiet, der noch Milchvieh hält, hat uns ein tolles Angebot gemacht: Er würde sich um die Pflege- und Mäharbeiten in der Aitrachaue kümmern – und das Gras als Futter für seine Tiere verwenden.“
Der gemeindliche Bauhofmitarbeiter Roman Gutjahr kommt entgegen, mit seinem orangefarbenen Gemeindefahrzeug. Nach einem freudigen „Servus, griaß’ eich“ geht er zum Mülleimer und leert ihn. „Wir haben hier ganz viele Gassigänger“, sagt Adalbert Hösl. „Und mit der Aitrach gibt es hier die perfekte Zamperl-Tankstelle, im Sommer, wenn’s heiß ist und Waldi, Bello und Co. Durst haben oder sich mal ins kühle Nass stürzen wollen. Nur eine Bitte hab’ ich an Zweibeiner: Dass sie ihre Vierbeiner immer an der Leine halten und auch immer schön die Sackerl verwenden, die in zahlreichen Spendern bereitstehen.“ Sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Genressourcen im Obstbau erhalten
Der Weg führt vorbei an einer Streuobstwiese. „Generell haben wir viele längst vergessene Sorten neu gepflanzt, die vom Aussterben bedroht sind.“ Petra Grießbaum geht ins Detail: „Wir haben den Kaiser-Wilhelm-Apfel, die Birne ‘grüne Sommermagdalene’, Zwetschgen, Süß- und Sauerkirschen, die alle einen Beitrag zum Erhalt wichtiger Genressourcen im Obstbau leisten.“ Und wer hier spazieren geht, kann sich natürlich gerne mal eine kleine Wegzehrung vom Baum nehmen. „Leider kommt es auch vor, dass anhängerweise Obst von Unbekannten entnommen wird – dafür sind Streuobstwiesen natürlich nicht gedacht“, sind sich alle Teilnehmer der Begehung einig.
Es geht zurück zum Ausgangspunkt, wo Manfred Krä erwähnt: „2016 wurden die Gemeinden Aiterhofen und Salching für das Projekt „Aitrachaue – mehr Biodiversität durch Flurneuordnung“ im Rahmen der UN-Dekade für Biodiversität mit einem bedeutsamen Preis ausgezeichnet. Dieser wurde vom damaligen Bayerischen Landwirtschaftsminister Helmut Brunner überreicht.“ – Und das haben sie auch verdient. Gesellschaft, Landwirtschaft und Naturschutz profitieren durch Biodiversität sowie Rückzugsgebiete für Pflanzen- und Tierwelt. Rückhaltemöglichkeiten bei Starkregen- und Hochwassersituationen wurden geschaffen, ebenso auch ein Naherholungsgebiet, das sehr gerne angenommen wird.
Quelle: Straubinger Tagblatt/Torsten Widua